am Sonntag, den 11. 09. 2022 um 12 Uhr, wird in der Galerie Art S u p p l e m e n t eine neue Ausstellung eröffnet :
S e r g e y K r y l o v
„Vom Strich zur Form“
Sergey Krylov wurde am 24. Januar 1976 in Kamyshin, Region Wolgograd in Russland geboren.
Wie sein Zwillingsbruder Evgeny erwarb Sergey nach sechsjährigem Studium nicht nur einen Abschluss an der Kunsthochschule, Abteilung Malerei, sondern auch einen Abschluss mit Auszeichnung an der Akademie für Industriedesign, Abteilung Kunst- und Grafikdesign in St. Petersburg.
Der renommierte in Frankreich lebende russische Künstler Mihail Shemyakin war derart beeindruckt vom Hochschulabsolventen Sergey Krylov, dass er ihn nach Frankreich in sein Atelier holte, wo Sergey von Mai 2009 bis November 2019 mit ihm und für ihn künstlerisch tätig war.
Während einiger Besuche Sergeys hier bei uns in Göttingen anlässlich von Ausstellungen seines Zwillingsbruders Evgeny erfuhren wir von dem an Ausbeutung grenzenden Arbeitsverhältnis mit seinem Arbeitgeber Shemyakin: abgeschieden auf dem Lande lebend in unwürdiger Wohnsituation ohne weitere soziale Kontakte, bei unregelmäßigen Lohnzahlungen und unter Androhung von Gehaltskürzungen, wenn er nach ausgebliebenem Lohn an die Zahlung erinnerte.
Kaum zu glauben, dass Sergey diese unwürdige Behandlung über einen solch langen Zeitraum von zehn Jahren ertrug.
Betroffen von diesen erniedrigenden Lebensumständen des hoffnungsvollen Künstlers Sergey Krylov war meine Lebensgefährtin, Galeristin Gisela Hyllus, Besitzerin der Galerien Alte Feuerwache und Art Supplement, überzeugt, etwas unternehmen zu müssen.
Ihrer Absicht, hier helfend einzugreifen, schloss ich mich gern an.
Unser Angebot zur Mitarbeit in Giselas Galerien nahm Sergey mit großer Dankbarkeit an.
Seit Dezember 2019 ist Sergey bei uns in der Galerie Alte Feuerwache versicherungspflichtig beschäftigt und bewohnt ein zur Galerie gehörendes Apartment, das Gisela ihm unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat.
In allen Belangen erweist er sich als ideenreicher und äußerst engagierter Mitarbeiter. Seit seiner Ankunft nahm er regelmäßig an allen Deutsch-Integrationskursen in der VHS teil und absolvierte erfolgreich den Test „Leben in Deutschland“.
Nach der Corona bedingten Zwangspause von fast zwei Jahren beginnt Sergey ab Oktober 2022 einen weiteren Deutsch-Integrationskurs für den Erwerb der B1- Qualifikation.
Neben diesen Tätigkeiten bleibt ihm genügend Zeit für eigenes künstlerisches Schaffen und für die Zusammenarbeit mit seinem in St. Petersburg lebenden Zwillingsbruder Evgeny, der schon sieben Mal mit Ausstellungen hier bei uns vertreten war.
Nach dem Tod ihrer Mutter, die in ihrer Heimatstadt Kamyshin als Deutschlehrerin tätig war und vor zwei Jahren starb, betrachten Evgeny und Sergey Gisela und mich als ihre Ersatzeltern.
In seiner aktuellen Ausstellung präsentiert Sergey Arbeiten, die sowohl in Frankreich als auch in Göttingen entstanden sind.
Wie der Titel der Ausstellung “Vom Strich zur Form“ vermuten lässt, bevorzugt Sergey Krylov eine non-figurative Kunst, die den Bezug zur sichtbaren Wirklichkeit aufgibt, sich also von der Natur oder realen Gegenständen loslöst und damit keinerlei abbildende Absicht verfolgt. Er bedient sich nur der Mittel der Malerei, also Farbe, Form, Linien und Strukturen, deren Varianten an die Stelle eines figurativen Gegenstandes treten.
Schon einfachste Linien rufen bei der Betrachtung unterschiedliche Wirkungen hervor, die aus Stimmungen und Gefühlen und aus menschlichen Raumerfahrungen resultieren. Den diversen Grundformen, z.B. waagerecht und senkrecht, oder rund, gebogen und wellenförmig, oder winklig, werden entsprechende Charakteristika zugeordnet, z.B. fest, stabil,ruhig, statisch, offen bzw. beschützend oder geschlossen, bewegt und unruhig, konstruiert, um nur einige zu nennen.
Mit Linien lassen sich Bewegungen, Richtungen und Geschwindigkeiten darstellen. Linien, die Flächen dekorativ gliedern, drücken eine schmückende, ornamentale Funktion aus.
Die von Sergey Krylov gesetzten Formen und Farben, gleichsam aus dem Unbewussten kommend, reflektieren die Emotionen und Empfindungen des Künstlers. Ich zitiere Sergey:
„Bei der Arbeit an einem Bild trete ich ein in einen Dialog, das Bild wird zum Gesprächspartner, es wird lebendig“.
Die von Sergey in dieser Ausstellung präsentierten Bilder sind einerseits in traditioneller Maltechnik entstanden, andererseits auch im digitalen Verfahren, dem sogenannten “digital painting“: der Erstellung von Bildern am Computer mit Hilfe von Grafiksoftware und Eingabegeräten.
Digitales Malen ist ebenso wie die traditionellen Mal- und Zeichenverfahren eine Technik, die erst im künstlerischen Prozess zu einem Mittel der Produktion von Kunst wird.
Bei einigen seiner Arbeiten bilden Fotos die Grundlage für die folgende Verfremdung am Computer. Sergey hat bei der Kreation seiner digitalen Werke aber auch einen individuellen Stil entwickelt. In seinem Sketchbook entwirft er Zeichnungen, die er dann am Computer scannt und am Bildschirm weiterbearbeitet.
Mit der hochprofessionellen Software, die höchste Ansprüche bei der Verwendung erfordert, kann er zusätzliche Ideen einfließen lassen. Wie bereits erwähnt, tritt Sergey ein in einen Dialog mit dem Bild. Das Bild wird zum Gesprächspartner.
Der Begriff des digitalen Malens taucht am Kunstmarkt kaum auf, stattdessen sind Angaben zur Technik des Ausgabemediums gebräuchlich, z.B. Digital Print oder Giclée Print ( auch Pigment Print und C-print digital).
Einige seiner Bilder hat Sergey per Giclée-Print erstellt. Die Bezeichnung ist abgeleitet vom französischen Verb gicler für „spritzen, sprühen“. Giclée steht allgemein für hochaufgelöste, großformatige Ausdrucke auf Tintenstrahldruckern mit lichtechten, farbstoff- oder pigmentbasierten Tinten. Bei diesem Druck werden üblicherweise sechs bis zwölf verschiedene Farben verwendet.
Viele Künstler und Fotografen verwenden Tintenstrahldrucker inzwischen als eine Alternative zur Lithografie bei der Herstellung kleinerer Auflagen oder Reproduktionen. (Die Kosten sind bei kleineren Stückzahlen viel geringer als bei anderen Herstellungstechniken).
Sergeys großformatigen Bilder, zum Teil mit Hilfe einer Lupe entstanden, sind derart facettenreich, dass die Fertigstellung mehr als ein Jahr in Anspruch nahm.
Das Original wurde abschnittweise gescannt und als Giclée hergestellt. Sergey hat jeweils nur ein Exemplar drucken lassen, sodass es sich um Unikate handelt auf hochwertigem, UV-geschützten Papier in Museumsqualität.
Jörg Dreykluft 11.09.2022