Sendung: Mittendrin Redaktion
AutorIn: Tina Fibiger
Datum:
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Der erste Blick auf die Arbeiten von Hannah Häseker mag noch unruhig schweifen. Doch schon dabei lockt die Vermutung, dass sich in ihren Fotografien Verweilorte erschließen und keine flüchtige Kameraaugenblicke, in denen sich jetzt etwas besonders Spektakuläres abspielt. Es ist vor allem die Ruhe, die ihre fotografischen Betrachtungen ausstrahlen, die Vorstellung, dass die Zeit in den Motiven einfach stillsteht, obwohl es sich im Grunde um Reisebilder handelt. Hannah Häseker hat sie auf einer Reise mit der transsibirischen Eisenbahn für ihre Masterarbeit aufgenommen und erzählt in ihrer Ausstellung in der Galerie Art Supplement vom Unterwegs sein beim Innehalten. Tina Fibiger begab sich für uns auf Spurensuche.

Manuskript

Text

„Die Zeit steht still“, heißt es in einem Gedicht von Mascha Kaléko, „wir sind es, die enteilen“. Dieses poetische Credo vernahm auch die Göttinger Fotografin, als sie auf ihrer Fahrt nach Sibirien auf Menschen, Schauplätze, Landschaften und Momente von Zeitlosigkeit traf. Das mochte die Nische eines Zimmers sein, mit dem Waschtisch und dem Spiegel darüber, der die Aussicht aus dem benachbarten Fenster wie ein fernes Stillleben reflektiert. Das waren die Sonnenflecken, wie sie in einem Ballsaal auf dem matt glänzenden Parkett tanzen, aber auch das schlafende Kind im Zugabteil oder das zerklüftete Felsmassiv, das in der Aufnahme von einer Stromleitung durchschnitten scheint. Nach ihrem ersten Russland-Aufenthalt 2014 war Hannah Häseker für ihre Bachelorarbeit über „Die Anatomie der Melancholie“ zunächst nach Budapest gereist, um sich für ihre Masterarbeit an der Hamburger HAW Hochschule einen kleinen Lebenstraum zu erfüllen.

O-Ton 1, Hannah Häseker, 37 Sekunden

Ich wusste, dass ich für den Master dann, was sich mit dem Thema Muse befasst, auf jeden Fall die richtigen Bilder noch weiter im Osten im fernen Sibirien finden würde und dass dieses Motiv der Reise mich auf den richtigen Weg bringen würde. Die Melancholie ist für mich so ein bestimmtes Gefühl von etwas, was vergangen ist, so ein Gefühl der Zeitlosigkeit. Dieses authentische, rustikale Leben hat mich irgendwie schon immer sehr berührt. Das hat mich einfach irgendwie nachhaltig geprägt: Das sind so Bilder von aufgehangener Wäsche, abgeblätterten Häusern, offen stehende Fensterläden, spielende Kinder auf Straßen.“

Text

Hannah Häsekers Kamerablick verweilte bei einer Frau, die ihr Gesicht nur durch den Spalt eines Vorhangs freigeben wollte und nach dem Stoff greift, als ob der ihr Halt gibt. Innegehalten hat sie an der Wolkenwand über einem Straßenzug, an den sanften Fließbewegungen eines schmalen Flusslaufes, den Wucherungen eines Baumstammes und der Schattengestalt am offenen Fenster, die eine Industriekulisse vor Augen hat. Doch so wenig wie die Landschaften scheinen die Gesichter zu enteilen, wie sie einen Moment von Stille wahren, so ganz für sich, als ob nichts sie zu irgendeiner Bewegung oder Veränderung antreiben könnte. Damit verbindet die Göttinger Fotokünstlern auch das Gefühl, das sie unterwegs auch durch die Hasselblad-Kamera mehr und mehr erfasste, aus der Zeit gefallen zu sein.

O-Ton 2, Hannah Häeker, 37 Sekunden

Ich musste mich erst mal auf der Reise darauf einlassen. Bis man da so angekommen ist, in so in 4er-Abteil und sich eingelebt hat, das hat schon ein bisschen gebraucht. Ich bin allein gereist, damit ich mich da auch voll drauf konzentrieren konnte: Das können Häuser, Menschen und Kinder sein, alte Autos aus Sowjetzeiten, die da noch auf dem Land rumstehen. Das sind Gespräche, die geführt wurden oder Spaziergänge, die ich viel allein dort unternommen habe, wo ich dann tagelang einfach eher nur Tiere getroffen habe anstatt Menschen. Und dieses Gefühl, irgendwie aus der Zeit gehoben zu sein, dieses fernab von jeglicher Zivilisation, das sind alles so Fragmente, die da zusammen gespielt haben.“

Text

In vielen Arbeiten spiegelt sich auch Goethes „Faust“ mit seinem Ausspruch „Verweile doch, du bist so schön“ und dass sich die Wahrnehmung der Fotografin im Innehalten für ein Motiv mehr und mehr verfeinerte, um seine Schönheit auch mit der Kamera zu erfassen und zu genießen. Dieses Gefühl überträgt sich unmittelbar auf die Ausstellungsbesucher*innen, die jetzt ein Panorama von Lichtspiegelungen genießen, das ein Nebelmeer durchdringt, oder den Anblick einer ländlichen Hausfassade in Blautönen, die an ein romantisches Refugium denken lässt. Sie verweilen wie die Fotografin an diesem Fenster, an dem die Gardine wie ein zarter Schleier über dem schlichten Holztisch zu schweben scheint oder bei der Gestalt mit dem entspannt gestreckten Körper, die ihre Füße in ein Wasserbecken taucht. Vielleicht ist es auch der Anblick der Frau, die so ganz versonnen und vielleicht sogar verträumt durch das Fenster nach draußen schaut, als ob sie gerade einen Sehnsuchtsort erinnert oder einen dieser magischen Momente, denen Hannah Häseker auf ihrer Reise mit der transsibirischen Eisenbahn begegnet ist.